Es gibt hier nichts zu sehen…

…bitte gehen Sie weiter. Nämlich hierhin: www.sebastian-wessling.de. Dort hat dieser kleine lauschige Blog eine neue Heimat gefunden. Dank Uberspace habe ich endlich eine eigene Domain und alles, was dazu gehört. Deswegen tobe ich mich dort jetzt aus.

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Und, wie fühlen Sie sich so?

Quasselte sich gelegentlich um Kopf und Kragen: Béla Réthy. Foto: Martin Lindner via CC BY-SA 3.0

Es war ein Spiel, dass reichlich Gesprächsstoff bot. Deutschland war mit einer überraschenden Aufstellung (zumindest, bis ein Maulwurf sie ausplauderte) angetreten; Klose, Reus und Schürrle spielten statt Gomez, Müller und Podolski. Die Wechsel gingen auf, die deutsche Offensive brillierte, erarbeitete sich Chance um Chance und traf viermal. Die Defensive dagegen erlaubte sich einige Konzentrationsschwächen und ließ die Griechen aus zwei Angriffen zwei Tore machen. Und Bastian Schweinsteiger präsentierte sich erschreckend weit entfernt von seiner Normalform. Über all das hätte man nach dem Spiel reden können, zum Beispiel mit Sami Khedira.

Auftritt Boris Büchler, Mikrofonhalter des ZDF am Spielfeldrand (hier in voller Länge anzusehen).

  • Frage 1: Wie intensiv schlägt ihr Fußballherz nach diesen 90 Minuten, nachdem Sie ein Tor gemacht und eine richtig gute Partie abgeliefert haben?
  • Frage 2: Inwiefern war es so ein Bisschen Fußball-Moderne gegen Fußball-Antike?
  • Frage 3: Wie ordnen Sie den Leistungsstand der deutschen Mannschaft ein nach dem ersten K.o.-Spiel, auch mit Blick auf die kommenden Aufgaben?

So langsam konnte man sich die Frage stellen, womit Boris Büchler die vorhergehenden 90 Minuten verbracht hatte. Diese drei Fragen hätte er sich irgendwann nach Bekanntwerden der Paarung Deutschland-Griechenland ausdenken können, auf das Spiel ging er ja fast gar nicht ein (ganz davon abgesehen, dass ich nichts mehr hasse als ein Interview nach einem Fußballspiel, in dem der Reporter als erstes fragt, wie sich denn der Spieler gerade so fühlt).

Leider ist das nicht unbedingt untypisch für die Feldreporter , die im deutschen Fernsehen so herumspringen (ich weiß nicht, wer das war, aber der Kollege von der Uefa zumindest stellte Philipp Lahm im Anschluss deutlich gescheitere Fragen). Vor allem aber reiht es sich ein in die unfassbar miese Performance, die das ZDF bisher bei dieser EM liefert. Gut, es ist nicht alles schlecht, was das ZDF während der EM treibt: Die Twitterer habe ich schon anderswo gelobt und die taktischen Analysen von Daniel Pinschower sind ziemlich gut.

Aber was ist das alles gegen den Fernsehstrand von Usedom? Dazu ist von mir und anderen schon fast alles gesagt worden, deswegen nur die Kurzzusammenfassung: Wer auch immer beim ZDF, also einem Kanal, der krampfhaft gegen das Image eines Rentnersenders ankämpft, auf die Idee kam, die Übertragungen ausgerechnet vom Rentnerparadies Usedom aus zu veranstalten, sollte sich dringend mal untersuchen lassen.

Angeblich hatte man Angst, in Polen oder der Ukraine nicht genügend deutsche Fans aufzutreiben und dementsprechend nicht so die Stimmung in der Bude zu haben. Schlimmer als auf den Liegestühlen am Strand wäre es aber kaum geworden. Jedes Mal, wenn der ZDF-Bildredakteur den verzweifelten Versuch unternimmt, ein wenig von der Stimmung im Publikum beklatscht, wirkt es eher so, als würde das Ende eines nicht besonders gelungenen zweiten Aktes einer x-beliebigen Oper beklatscht.

Über die Qualitäten von Katrin Müller-Hohenstein und Oliver Kahn habe ich mich an anderer Stelle bereits lang und breit ausgelassen und bisher lassen die beiden keine Gelegenheit aus, mein negatives Urteil zu bestätigen. Sie stellt die gewohnt ahnungslosen Fragen und er malt zwischen gewohnt inhaltsleeren Sätzen absurd sinnfreie Kringel und Pfeile auf das Analysepult.

Besonders originell war übrigens, wie die beiden in der Bild am Sonntag die Kritik zu kontern versuchten: mit dem Verweis auf die gute Quoten bei ihrer Sendung. Geht’s noch? Zwischen euren lustigen Fernsehgarten-Auftritten spielt die deutsche Nationalmannschaft. Da gucken 20 Millionen Menschen zu. Man könnte drumherum Hallenhalma oder Synchronschwimmen zeigen und das käme auf Top-Quoten. Beim heute-journal behaupten sie ja auch nicht, sie würden derzeit besonders gute Nachrichten machen, was sich an den tollen Quoten ablesen lasse.

Die Art von Drogen, die man nehmen muss, um so zu argumentieren, hatte vor dem Spiel Deutschlands gegen Griechenland wohl auch Béla Réthy geschluckt. Ein griechischer Abwehrspieler spielt einen halbhohen Rückpass, den der Torhüter mit der Brust stoppt – und Béla brüllt: „Er hat den Ball fallen gelassen!“ Und bei einem deutschen (!) Freistoß in der griechischen Hälfte fragt er mit besorgtem Timbre in der Stimme: „Wer kümmert sich jetzt um Papadopoulos, der ist kopfballstark, auf den muss man aufpassen.“ Klar, kann man ja mal machen, bei eigenem Freistoß den gegnerischen Innenverteidiger in Manndeckung zu nehmen.

Réthy ist übrigens auch derjenige, der damals bei der WM 2010 im Spiel gegen England bemängelte, Klose hab vor dem 1:0 im Abseits gestanden. Dass es bei einem Torabstoß kein Abseits gibt, kann man als Kommentator ruhig mal wissen. Er ist auch derjenige, der eine denkwürdige Sendung hätte bestreiten können, als die Partie Frankreich gegen Ukraine wegen Regenfalls für rund eine Stunde unterbrochen war. In einer ähnlichen Situation, als vor einem Champions-League-Spiel des BVB in Madrid ein Tor umfiel und der Ersatz lange auf sich warten ließ, witzelten sich Günther Jauch und Marcel Reif zum Bayerischen Fernseh-Preis, dank Sätzen wie „Noch nie hätte ein Tor einem Spiel so gut getan“ (Marcel Reif) oder  „Für alle die, die nicht rechtzeitig eingeschaltet haben, […] das erste Tor ist schon gefallen!“ (Günther Jauch). Béla Réthy erzählte, was er am Morgen gefrühstückt hatte.

Nun kann man ihm schwerlich vorwerfen, dass er nicht auf Knopfdruck ein lustiges einstündiges Sprachfeuerwerk abbrennen konnte. Es überrascht aber, dass das ZDF anscheinend keinerlei Notfallplan für eine solche Situation hatte. Schließlich gab es neben dem Torfall von Madrid auch in der Bundesliga in der jüngeren Vergangenheit schon längere Unterbrechungen, sei es durch Stromausfall oder einen Platzsturm. Und dass beispielsweise durch Bengalos oder randalierende Fans zu einer Spielunterbrechung kommt, ist ja kein vollkommen unrealistisches Szenario, auf das man sich also hätte vorbereiten können.

Dass das ZDF dazu nicht in der Lage war – oder dass es zumindest so aussah -, rundet den mauen Eindruck ab, den die Mainzer bei dieser EM bislang hinterlassen haben.

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Futter für Taktikfans

Bald ist bekanntlich Europameisterschaft und das heißt, dass die große Zeit der EM-Sonderhefte wieder angebrochen ist. Ich habe vor einigen Jahren schon aufgehört, mir Sonderhefte zu kaufen. Im kicker-Heft steht alle Jahre irgendwie das gleiche drin, es werden alle Teams vorgestellt, der Ball, die Schiedsrichter, der Ball, das deutsche Quartier, ein paar Ex-Fußballer zu den Aussichten der deutschen Mannschaft interviewt und ganz hinten schreibt Django Asül eine furchtbar unkomische Kolumne. Man bekommt zwar viele Informationen, aber alle sprachlichen, optischen und gestalterischen Innovationen werden vom kicker seit Jahrzehnten tapfer ignoriert.

Die 11 Freunde-Hefte lese ich wirklich gerne, weil sie einen unkonventionellen Blick auf den Fußball riskieren und das Ganze nicht so ernst nehmen. Gelegentlich übertreiben sie allerdings damit, gerade in den Sonderheften habe ich mir zuletzt hier und da doch die eine oder andere harte Information zwischen all den lustigen kuriosen oder skurrilen Geschichten gewünscht. Und die Sport-Bild kann ich eh nicht ganz ernst nehmen.

In diesem Jahr gibt es noch ein weiteres Sonderheft von den Machern des Blogs spielverlagerung.de, den ich hier schon einmal lobend erwähnt habe. Das Heft ist nur als E-Book zu kaufen (Details gibt es hier, einige Leseproben hier), kostet 5,95 € und der erste Eindruck ist erst einmal abschreckend: 203 Din-A-4-Seiten voll mit Text, mit einer Gestaltung, von der ich behaupte, dass das Layout meiner Diplomarbeit ansprechender war.

Das Lesen lohnt aber. Wer sich nur ein wenig Taktik interessiert, lernt hier einiges dazu und auch für Leute, die sich gut auskennen, ist viel Neues dabei. Zu jeder Mannschaft gibt es mindestens eine taktische Analyse und in der Regel noch mindestens einen Zweittext. Analyse bedeutet in dem Fall nicht (wie man es sonst aus vielen Medien kennt), dass die erwartete Aufstellung aufgeschrieben, Stärken und Schwächen der Spieler und ein paar zusätzliche Informationen aufgeschrieben werden; hier geht es richtig in die Tiefe: Wie verhält sich die Mannschaft in der Defensive, kommt ein Gegenpressing zum Einsatz und wie könnte man dieses knacken?

Allein zu Spanien gibt es neun verschiedene Aufstellungs- und Taktikvarianten, dazu noch ein Text über die Probleme der Spanier seit der EM und möglichen Lösungen. All diese Informationen führen dazu, dass die Texte lang und manchmal etwas langatmig geraten sind, ich fand sie aber immer lesenswert.

Wer allerdings mit Begriffen wie „Dreifachacht“, „falsche Neun“ oder „abkippender Sechser“ nicht viel anfangen kann, muss sich etwas hinein- und durcharbeiten.

Von mir gibt es eine uneingeschränkte Leseempfehlung. Und wer noch mehr Infos braucht: Ein paar mehr Worte über das Sonderheft habe ich in einer Rezension bei DerWesten verloren, morgen gibt es dort auch Interview mit einem der Macher.

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Recherchieren? Wozu?

Vor einiger Zeit habe ich an dieser Stelle ziemlich über das ZDF Sportstudio im Besonderen und die deutsche Sportberichterstattung im Allgemeinen aufgeregt. Auch das gegenseitige Abschreiben von Fehlinformationen und der daraus resultierende Herdentrieb war schon Thema. Vermutlich könnte man damit jeden Tag einen Blogbeitrag füllen, aber heute war es mal wieder besonders nett.

Kurz nach zehn kam die Meldung: Shinji Kagawa wechselt von Borussia Dortmund zu Manchester United. Und darin stand irgendwo der harmlose Satz, der Transfer erfolge vorbehaltlich der sportmedizinischen Untersuchung und der Arbeitserlaubnis. Und ich erinnerte mich dunkel, da in letzter Zeit etwas darüber gelesen zu haben und fand den Text nach zweiminütiger Powerrecherche bei den Kollegen von Reviersport. Unter der alarmistischen Überschrift „Kagawa-Wechsel droht zu platzen“ steht dort neben einigem anderen folgendes:

Der Transfer des Dortmunder Mittelfeldspielers zum Premier League-Klub droht an den kuriosen Statuten des englischen Fußballverbands (FA) zu scheitern. Demnach dürfen nicht EU-Ausländer ausschließlich dann ins englische Oberhaus wechseln, wenn sie in den zurückliegenden zwei Jahren mindestens 75 Prozent der Länderspiele für ihr Heimatland absolviert haben. Das trifft auf den Japaner allerdings nicht zu, denn der konnte wegen Verletzungen nur 18 der letzten 39 Länderspiele für die „Samurai Blue“ absolvieren, also etwas mehr als 50 Prozent.

Über die Schwächen beim Kopfrechnen sah ich gnädig hinweg, allerdings erzählte mir ein Kollege, er habe ähnliches auf Springers Witzportal Gerüchteküche Fußball-Portal transfermarkt.de. Allerdings sei dort von drei Jahren die Rede gewesen.

Also musste ich doch etwas tiefer in die Recherche einsteigen. Eine erste Google-Suche ergab, dass inzwischen viele deutsche Portale vom drohenden Transferplatzer schrieben. Allerdings, und das machte schonmal misstrauisch, nur wenige, bei denen man sich auf die Fakten mehr oder weniger blind verlassen könnte. Und, was das Misstrauen noch deutlich steigerte, kein seriöses englisches Angebot erwähnte irgendwelche Probleme rund um eine Arbeitserlaubnis für Kagawa.

Also musste der Originaltext her, der sich nach kurzer Suche auf den Seiten der Premier League und des Verbands finden ließ. Da steht diese Regel tatsächlich drin: Ein Nicht-EU-Ausländer, der in die Premier League wechseln will, muss, um eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, mindestens an 75 Prozent aller PFLICHTspiele (auf dieses Detail hatten alle Berichterstatter bis dato verzichtet) seines Landes in den vergangenen zwei Jahren partizipiert haben. Die Frage nach zwei oder drei Jahren war also gelöst. Allerdings war der Text noch nicht zu Ende:

If a player was not available for selection for a match or series of matches due to injury or suspension and provided that written evidence is submitted to this effect, those games will be excluded from the total when calculating the player’s appearance percentage.

Im Klartext: Ist ein Spieler verletzt, werden die Spiele während seiner Verletzung nicht mitgezählt. Das große Problem war also gar keines und die Arbeitserlaubnis wohl doch eine Formalie. Nur hatte keiner der Kollegen, die darüber schrieben, so weit gelesen – und ich würde viel Geld darauf wetten, dass die wenigsten überhaupt einen Blick in die tatsächlichen Regularien geworfen hatten.

Nun hatte ich noch Zeit, diese Erklärung in unseren Text über Kagawa einzufügen und die Kollegen vom Online-Desk vorzuwarnen, dass es sein könnte, dass die Agenturen gleich aufgeregte Stücke über den brutalstgefährdeten Kagawa-Transfer bringen könnten, dass da aber wenig dran sei.

Und um 12.04 Uhr kam dann dapd, die die zwei Stunden seit Verkündung des Transfers offensichtlich nicht zur Recherche genutzt hatten und stattdessen vielleicht an den Formulierungen gefeilt: Manchester müsse noch um sein neues Juwel und Dortmund um seine Millionen zittern, hieß es da, weil da doch diese Statuten existierten, die Kagawa nicht erfülle. Im Wesentlichen waren es die Informationen, die auch schon im Reviersport gestanden hatten. In den Regeln hatte wieder niemand selbst nachgeguckt – und die Abschreibespirale konnte von vorne beginnen.

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Unglücklich, ungerecht und unverdient?

Vor einer Woche wurde Philipp Lahm noch ausgelacht, als er nach der 2:5-Niederlage im DFB-Pokalfinale gegen den BVB postulierte, man sei doch über weite Strecken die bessere Mannschaft gewesen und die Niederlage deswegen unglücklich. Gestern widersprach niemand, im Gegenteil: Spieler, Trainer, Offizielle des FC Bayern und sogar die allermeisten Journalisten waren sich einig: Die Niederlage war unglücklich, ungerecht und unverdient. Bayern habe den Gegner an die Wand gespielt, der habe nur hintendrin gestanden, irgendwie einmal den Ball ins Tor gestolpert und dann beim Elfmeterschießen halt mehr Glück gehabt. Soweit die Legende, die außerdem bei Spielern, Verantwortlichen und Journalisten stets in einem Wort gipfelte: unerklärlich. Unerklärlich sei die Niederlage, von dunklen Mächten auf finsteren, verschlungenen Pfaden herbeigeführt. Unerklärlich und ungerecht. Ich sehe das anders und habe mal ein vier Thesen aufgestellt, die die Niederlage erklären und dem allgemeinen Tenor widersprechen.

1. Die Niederlage war nicht unverdient
Die Bayern haben gestern unglücklich verloren. 35:9 Schüsse und 20:1 Eckbälle sprechen eine deutliche Sprache. Allerdings – und für diesen Satz zahle ich gerne ins Phrasenschwein ein – man muss die Dinger eben auch reinmachen. Auch das ist eine Qualität, die Spitzenfußballer und eine Spitzenmannschaft aufweisen müssen. Gomez eher schwache Abschlüsse sind schon hinreichend beklagt worden, er ist eben kein Stürmer, den man brauchen kann, um eine dicht stehende Abwehr spielerisch auf engstem Raum aus den Angeln zu heben.

Und der eine Eckball von Chelsea war um Längen besser als alle 20, die die Bayern vors Tor gebracht haben. Robben hat nicht nur einen grotesk schlechten Elfmeter getreten, sondern auch schlechte Ecken; die meisten segelten über die Köpfe der im Strafraum wartenden Bayern hinweg oder blieben am ersten Verteidiger hängen, ebenso die Freistöße.

2. Bayern fehlte ein Leader
Nichts hasse ich mehr als die ewige deutsche Führungsspieler-Debatte. Ich weine Typen wie Ballack und Frings keine Träne nach und halte viel von flachen Hirarchien und eher moderat auftretenden Typen wie Philipp Lahm. Gestern aber hätte es mal jemanden gebraucht, der Arjen Robben den Ball aus der Hand reißt. Spätestens vor dem Elfmeter. Nachdem Robben miserable Ecke um miserable Ecke reingebracht und gefühlte 20 Mal in sinnlose Dribblings gegangen war, hätte ihn mal jemand zurechtstoßen und dafür sorgen können, dass mal ein Anderer die Standards tritt. Toni Kroos kann das ja auch ganz gut. Und wie gesagt, den Elfmeter hätte besser ein Anderer geschossen.

3. Chelsea hat gewonnen, weil die Spieler mehr wollten
Jetzt muss ich mir ein bisschen widersprechen: Eben sagte ich noch, jemand Anderes hätte schießen sollen. Aber wer denn bitte? Bayern hat ja nicht einmal fünf Spieler fürs Elfmeterschießen zusammengekriegt. Neuer schoss nicht, weil er unbedingt wollte, sondern – das hat Jupp Heynckes später bestätigt – weil sich niemand anders traute. Nun ist Neuer zwar für einen Torwart außergewöhnlich spielstark, als Elfmeterschütze ist er aber bisher nicht aufgefallen. Dass trotzdem kein anderer Spieler die Verantwortung übernehmen sollte, sagt einiges aus (nebenbei gemerkt auch über Neuers Mut, denn die Ultras hätten ihn wohl geteert und gefedert aus der Stadt gejagt, wenn er verschossen hätte).

Schweinsteiger ging zwar zum Punkt, sah aber vorher schon aus wie ein Häufchen Elend und entschied sich dann, gegen einen der besten Elfmetertöter der Welt einen verzögerten Anlauf zu machen und mal zu schauen, wohin der springt. Ein guter Torhüter wie Cech springt aber nicht zu früh und dann wird aus Sperenzken wie dem verzögerten Anlauf in der Regel ein Fehlschuss.

Ganz anders Drogba. Der sah schon vor seinem Elfmeter extrem selbstsicher aus und es war zu sehen, dass er mit jeder Faser seines Körpers den Ball ins Tor bringen wollte, genau wie er schon vorher unbedingt diesen Eckball verwandeln wollte. Dieser unbedingte Wille fehlte den Bayern.

4. Bayern war taktisch schwach
Das mag jetzt eher überraschend kommen, wenn man nochmal an die 35:9 Schüsse und 20:1 Eckbälle denkt und an die totale Feldüberlegenheit der Bayern. Das lag aber hauptsächlich daran, dass Chelsea das Mitspielen komplett verweigerte und sich nur hinten reinstellte. Sie verteidigten nicht einmal besonders gut, aber standen eben zu zehnt im eigenen Strafraum herum.

Und den Bayern fiel darauf nicht viel ein. Kaum Tempowechsel, zu wenig Bewegung im Spiel und weitgehend Angriffe nach Schema F – also Ball auf die Außen, und von dort dribbelten entweder Ribery oder Robben nach innen, wo es eh schon eng genug war, weil dort ja neben den Chelsea-Verteidigern und -Mittelfeldspielern auch Mario Gomez, Thomas Müller, Toni Kroos und diverse andere Bayern-Spieler herumstanden. Selbst wenn Chelsea mal die Mitte ein wenig entblößt hatte (was nicht so oft vorkam) wurde kein Risikopass in die Vertikale versucht, sondern der Ball quer auf den Flügel geschoben. Und wenn die Außenverteidiger mal die Außenstürmer hinterliefen, bekamen sie zwar hin und wieder den Ball, eine Flanke folgte aber eher selten. Und noch seltener waren im Angriff alle Spieler in Bewegung, gab es überraschende Spielzüge, Rochaden oder andere Überraschungsmomente. Die wenigen Konter wurden teils grotesk schlecht ausgespielt. Und weil der Kader für eine Spitzenmannschaft geradezu fahrlässig klein ist, saßen auch kaum Alternativen auf der Bank, die neue Impulse hätten bringen können: Petersen, Usami und Pranjic haben nicht die Kragenweite von Malouda, Essien oder Torres.

So reichte es zwar für 35 Torschüsse, aber darunter waren eben nur fünf wirklich große Chancen. Und die müsste man dann eben machen, womit wir wieder bei 1. wären. Und deswegen war die Niederlage zwar sicherlich unglücklich – aber eben nicht unverdient.

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Skandal! Skandal! Skandal!

Heißa, da war etwas los in den vergangenen Tagen. Alles begann mit einer Vorabmeldung des Stern, jenem Nachrichtenmagazin also, was eins schon die Hitlertagebücher entdeckt angedreht bekommen hatte.Und jetzt hat man in Hamburg einen ganz heißen Skandal ausgegraben, und zwar rund um den Blog Wir in NRW, der vor der NRW-Wahl 2010 vieles aufdeckte, was der CDU äußerst ungelegen kam und seinen Teil dazu beitrug, dass die CDU bei der Wahl ziemlich baden ging. Und was hat der Stern jetzt aufgedeckt?

Aber so unabhängig und überparteilich waren die Enthüller offenbar nicht. Der Stern deckt in seiner neuen Ausgabe auf, wie die mutmaßlichen Hintermänner des Blogs von dem Wahlsieg der SPD profitierten. Sie erhielten Aufträge der Landesregierung in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro.

Das wäre natürlich ein starkes Stück, wären da nicht die unscheinbaren Wörtchen „offenbar“ und „mutmaßlich“ – Journalistensprech für „Wir kennen da ein Gerücht, können es aber nicht beweisen“.

Die eigentliche Geschichte ist schnell erzählt: Für Wir in NRW schrieben und schreiben damals mehrere Autoren unter Pseudonym, weil sie negative Folgen fürchteten. Eine gewisse SPD-Nähe wurde dabei immer gemutmaßt. Der Stern geht jetzt noch weiter und behauptet, die Autoren seien gekauft gewesen. Oder, genauer gesagt: Nachdem die SPD dann an die Macht gekommen war, bekam einer der mutmaßlichen Autoren, der ehemalige Focus-Landeskorrespondent Karl-Heinz Steinkühler, einige PR-Aufträge. Dass es die Aufträge gab, ist gesicherte Erkenntnis und von der Landesregierung auch bestätigt.

Das ist aber auch alles, was an der Geschichte bestätigt ist. Weder hat der Stern bewiesen, dass Steinkühler für den Blog geschrieben hat (auch wenn das hochwahrscheinlich ist), noch kann er belegen, dass bei den Ausschreibungen irgend etwas unkoscher war. Trozdem haben die Hamburger, die so gerne wieder einmal ein ernstzunehmendes Nachrichtenmagazin wären, das ganze auf mehreren Seiten ausgebreitet. Höhepunkt der Lächerlichkeit Beweisführung: Der Steinkühler hatte einen Geschäftspartner, der auch für Wir in NRW geschrieben haben soll. Und der hat einen Hund, der Trixi heißt. Und bei Wir in NRW gab es mal einen Rüttgers-kritischen Artikel, der mit einem Facebook-Profil verziert war. Darauf war die Nutzer-Mailadresse zu sehen und die lautete – Achtung! – trixi@gmx.tm. Ich könnte jetzt erwähnen, dass ich eine Trixi kenne, deren Adresse trixi@gmx.de lautet, aber auch so sprechen die Argumente in ihrer ganzen Stringenz für sich.

Richtig lustig wird es aber erst im Anschluss, als man sehen konnte, wer so alles mit wem offensichtlich noch das eine oder andere Hühnchen zu rupfen hat. Die Ruhrbarone etwa brachten die komplette Vorabmeldung des Stern und setzten noch eine schön vorverurteilende Überschrift drüber: Wir in NRW: So verdient man Geld mit Blogs. Nun ja.

Andere drehen noch ein Stückchen weiter an der Eskalationsschraube: Es ist ein offenes Geheimnis, dass auch andere Medien an dem Thema recherchiert haben, unter anderem der Spiegel und die WAZ. Beide haben es aber nicht gebracht. Schnell kommt ein Gerücht auf, dass von einigen CDU-Wahlkämpfern nur allzu gerne weitergetratscht wird. So schreibt ein Geschäftsführer eines CDU-Kreisverbands in einer internen E-Mail an die Mandats- und Funktionsträger seiner Partei:

Die WAZ beispielsweise hat auf die Veröffentlichung nach einem Anruf von Frau Ministerpräsidentin Hannelore Kraft beim Chefredakteur Ulrich Reitz verzichtet.

Ja klar. Hannelore Kraft macht den Wulff, bestellt die Berichterstattung ab und nicht nur Herr Reitz, sondern sämtliche leitende WAZ-Redakteure liegen ihr zu Füßen. Aus lauter Liebe zu Hannelore Kraft verzichtet die WAZ darauf, einen Blog in die Pfanne zu hauen, der sie immer wieder scharf angegriffen hat. Man könnte kurz nachdenken, das für vollkommen albern halten, auf die Idee kommen, dass die WAZ und der Spiegel die Geschichte einfach für etwas dünn hielten und dann die Füße stillhalten.

Oder aber man verbreitet das alles munter per Facebook, Twitter und per Mail. Besonders hervorheben möchte ich aus meiner Timeline Sven Volmering, Henrik Bröckelmann, Thomas Jarzombek sowie die gesamte Junge Union samt aller Untergruppen. Da schwirrten Worte wie Kraftgate durch die Gegend und es wurde als Fakt dargestellt, dass die SPD Blogger kauft und in Zeitungsredaktionen hineinregiert. Neue Fakten störten dabei bestenfalls am Rande.

So twitterte Thomas Jarzombek gestern Nachmittag noch:

Wie würden Sie es denn kommentieren, wenn nur noch meine MA twitterten, die CDU Blogger kaufen und Journalisten mundtot machte?

Ganz einfach: als eindeutig falsch, was die Stelle mit dem mundtot machen angeht. Und als unbewiesen, was die gekauften Blogger angeht. Sein Parteifreund Marco Wirtz, der die Mail ebenfalls weiterverbreitet hatte, hatte längst auf Druck der WAZ-Rechtsabteilung widerrufen, wie widerum die Ruhrbarone dokumentieren. Meine Lieblingsstelle:

Ich stelle allerdings ausdrücklich fest, dass ich persönlich diese Behauptung nicht aufgestellt habe, sondern nur eine Mail weitergeleitet habe, in der diese Behauptung aufgestellt wurde.

Willkommen in meiner Welt, kann ich da nur sagen. Man ist eben auch für das verantwortlich, was man weitertratscht, jeder Journalist kennt das als Verbreiterhaftung.

Gegen die Stern-Berichterstattung hat die Landesregierung eine einstweilige Verfügung erwirkt, hier darf man zumindest gespannt sein, wie das Verfahren ausgeht. Diese Mail hat übrigens niemand aus meiner Timeline weiterverbreitet. Stattdessen wurde mit Macht versucht, einen Skandal herbeizutwittern. Allein: Es juckte niemanden. Der sogenannte Skandal interessierte außerhalb der Parteien kaum jemanden. Und über Auswirkungen auf die Wahlergebnisse muss ja nun wirklich nicht gesprochen werden.

Offenlegung: Ich bin freier Mitarbeiter bei DerWesten, dem Onlineportal der WAZ-Mediengruppe. Ich fände die ganze Begebenheit aber auch albern, wenn es nicht so wäre.

P.S.: Eine schöne Zusammenfassung der ganzen Geschichte bietet das Handelsblatt hier.

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Die Meute und ihr Herdentrieb

Es hat wohl schon länger keinen 1. April gegeben, an dem sich so viele Leute haben verarschen lassen. Und im Nachhinein ist es schwer zu sagen, wer damit angefangen hat. Sicher ist, dass sich Sky mit seinem „Newssender“ ein wenig zu weit aus dem Fenster lehnte, als Christopher Lymberopoulos live auf dem Sender verkündete, Stale Solbakken sei entlassen und Frank Schaefer werde übernehmen. Lymberopoulos ist nicht irgendwer, sondern war früher Pressesprecher beim FC. Deswegen galt er als gut informiert. Das dürfte jetzt aber erst einmal vorbei sein.

Auch der Express drehte fleißig an der Spekulationsspirale und war noch deutlich früher dran als Sky. Spiegel, Focus und viele andere sprangen auf den Zug auf. Und nach und nach wurde der Konjunktiv zum Indikativ, wurde aus „nach Medienberichten“ erst „nach übereinstimmenden Medienberichten“ und dann „nach Informationen aus Vereinskreisen“; nach und nach verdichtete sich das Gerücht zum Fakt. Und als der FC für 16.30 eine Pressekonferenz verkündete, war kein Halten mehr, schon wurde über Nachfolger und Interimslösungen spekuliert.

Zugegeben: Auch ich bin fest davon ausgegangen, man würde den Trainer entlassen, warum lädt man sonst am Sonntag zu einer Pressekonferenz? Leverkusen hatte es ja gerade vorgemacht. Aber ein Beleg ist das nicht. Und so bin ich im Nachhinein heilfroh, dass wir relativ vorsichtig berichtet haben. So standen wir nicht mit heruntergelassenen Hosen da, als im Laufe des Nachmittags folgendes getwittert wurde:

@fckoeln ist der offizielle Twitterkanal des 1. FC Köln, und die Menschen, die den betreiben, haben noch ein bisschen bessere Informationen als Herr Lymberopoulos. Der stand nun ziemlich blöd da, genau wie der Express, dessen Informant den gesamten heutigen Tag vermutlich besoffen unter irgend einem Tresen verbracht hat. Und wie begründete der Express es nun, dass er sich in seinem lustigen Liveticker so gründlich verrannt hatte, wie es nur irgendwie geht? Nun ja, auf eine ziemlich bekloppte amüsante Art und Weise:

Sky-Reporter Christopher „Lymbo“ Lymberopoulos, ehemals Angestellter des Klubs, erklärte vor der Kamera, dass Frank Schaefer den FC vor dem Abstieg bewahren solle. Auch wir waren zu vorschnell und verkündeten fast ein Jahr nach Schaefers Rücktritt sein Comeback.

War doch alles nicht so schlimm, nur ein bisschen vorschnell, und außerdem haben die Anderen ja auch mitgemacht – so eine Erklärung würde ich nicht einmal meiner fünfjährigen Tochter durchgehen lassen.

Vorschnell? Liebe Leute vom Express, das ist das falsche Wort. Ihr wart nicht vorschnell, eure Info war einfach granatenmäßig falsch. Und wenn ihr sie eine Stunde oder einen Tag später rausgehauen hättet, wäre es immer noch falsch (über die Strecke von einer Woche traue ich mich jetzt nicht, eine Prognose abzugeben). Und das ist eben der Unterschied zu vorschnell.

An der Uni habe ich mal gelernt, dass Gründlichkeit im Zweifel vor Schnelligkeit geht. Das mag euch beim Express zwar irgendwie oldschool erscheinen, gilt aber immer noch. Kein Leser merkt sich, wenn ihr fünfmal ein bisschen schneller wart als die Bild oder sonstwer. Aber jeder Leser merkt sich, wenn ihr fünfmal daneben gelegen habt.

Da ich bezweifle, dass euch das interessiert, mein Appell an die anderen Medien: Schreibt das doch bitte nicht immer alles ab. Und der Satz „Die Bild mag scheiße sein, aber im Sportteil sind sie immer gut informiert“, der Satz ist scheiße. Der wird auch durch ständige Wiederholung nicht besser. Bild, Express und Co. arbeiten nach dem Schrotflinten-Prinzip: Jedes Gerücht wird rausgehauen. Und ab und an ist dann auch mal ein Treffer dabei. Aber vieles geht eben daneben. Deswegen ist das Abschreiben bei den genannten Verdächtigen eine schlechte Idee.

Ganz unwichtig ist Schnelligkeit aber natürlich auch nicht. Das sollte vielleicht mal einer dem Kölner Stadtanzeiger bzw. dessen Twitter-Kanal @ksta_fc erzählen, wo es laut Selbstauskunft „Neues vom 1. FC Köln von der KStA-Sportredaktion“ gibt. Der Kanal sieht nämlich noch immer (Stand Montagabend, 23:29 Uhr) folgendermaßen aus:

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Wulffs Gnadengesuch

Je länger ich mir das Wulff-Interview angesehen habe, desto länger wurde mein Gesicht. Maximallänge hatte es dann bei diesem Satz erreicht:

„Es gibt auch Menschenrechte – selbst für Bundespräsidenten.“

Oh bitte. Musste das sein?

Hat das irgend jemand in den vergangenen Wochen in Abrede gestellt? Hat sich irgend ein Politiker oder sonst jemand hingestellt und gefordert, dem Präsidenten sofort die Menschenrechte zu entziehen? Hat ihm jemand das Recht auf körperliche Unversehrtheit streitig gemacht oder das Recht auf Bildung (bei einigen seiner Sätze scheint das zumindest nicht ganz unplausibel). Nein, nicht einmal CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt oder sein Parteikollege, der sogenannte Innenexperte Hans-Peter Uhl, die sich sonst für keine abwegige Forderung zu schade sind. Liebe Bettina Schausten, lieber Ulrich Deppendorf: Man hätte an der Stelle ja mal nachhaken können, inwiefern das Anlügen des niedersächsischen Landtags oder das Unterdrücken von Berichterstattung ein Menschenrecht sind.

Aber nein, das hat Wulff ja gar nicht getan. Sagt er. Und dann sagt er noch so einiges mehr, was ein wenig zweifelhaft daherkommt. Ich unterstelle mal, dass Wulff bei vollem geistigen Bewusstsein war, als er diese Sätze daher sprach, deswegen kann er im Leben nicht damit gerechnet haben, dass er mit einem seinem Stuss durchkommt bei Menschen, die halbwegs informiert über die ganze Geschichte sind. Er wollte die Berichterstattung nicht verhindern, sondern nur um einen Tag aufschieben, um Stellung nehmen zu können? Dabei hatte die Bild ihren Bericht schon von einem Montag auf einen Dienstag geschoben, um genau das zu ermöglichen. Wulff bzw. sein Pressesprecher hatte einen Fragenkatalog bekommen, der auch beantwortet wurde. Kurz vor Redaktionsschluss zog das Präsidialamt dann die Antworten zurück, wenig später kam dann der Anruf auf Diekmanns Handy. Eine Bitte um Verschiebung hätte man nicht einfacher haben können? Und dann musste man noch Verlagschef Döpfner und Großaktionärin Springer anrufen?

Oder noch besser: Er habe doch nur gewollt, dass die Bild auch schreibt, er habe den Kredit bekannt gegeben und das sei nicht durch Presserecherchen bekannt geworden. Ah ja. Mussten die Journalisten die Einsicht ins Grundbuch deswegen gerichtlich erstreiten? Wenn er wirklich den unbändigen Drang verspürte, die Geschichte öffentlich zu machen, hätte es sein Pressesprecher bestimmt hinbekommen, nach den ersten Journalistenanfragen (oder gerne auch davor) eine Pressekonferenz zu organisieren oder zumindest eine Pressemitteilung zu schreiben, in der alles drinsteht. Oder allerspätestens am 17.08.2011, als der Bundesgerichtshof entschied, dass dem Spiegel Einsicht ins Grundbuch zu Wulffs Grundstück  zu gewähren sei. Und niemand hätte ihm die Würmer nach und nach aus der Nase ziehen müssen.

Aber nein, halt, das scheibchenweise Herausrücken der Wahrheit, immer einen Schritt hinter den Presseveröffentlichungen, lag ja gar nicht an Wulff. Sondern an den blöden Medien, die fieserweise nur scheibchenweise gefragt haben. Oder am niedersächsischen Landtag, der zu ungenau gefragt hat. Er selbst wollte doch eigentlich von Anfang an raus mit der Wahrheit, es hat ihn nur keiner gefragt.

Wulffs Einlassungen decken sich nicht mit den bekannten Fakten und der Chronologie der Ereignisse bisher, um es mal vorsichtig auszudrücken. Deswegen kann er nicht ernsthaft geglaubt haben, damit bei den Hauptstadtjournalisten durchzukommen. Ist er auch nicht, wie das verheerende Presseecho zeigt. Aber ich unterstelle dem Präsidenten, dass das gar nicht das Ziel war. Er hat nicht zu den Journalisten gesprochen, sondern zu den Leuten zu Hause vor den Bildschirmen. Zu Hinz und Kunz, Andreas und Susanne, John Doe, Max Mustermann und wie sie alle heißen. Deswegen hat er sich ja auch nicht der Bundespressekonferenz mit allen dort akkreditierten Hauptstadtjournalisten gestellt, sondern sich auf ein kurzes Interview von 20 Minuten eingelassen, in das nur wenige Fragen passen und kaum Raum zum Nachfragen und Nachhaken bleibt. Die Journalisten kann er eh nicht mehr überzeugen, deswegen will er den Rest der Bevölkerung für sich einnehmen und hofft, dass diese einfach irgendwann das Interesse an der Geschichte verlieren. Er hat auf seine (bisher) große Beliebtheit gesetzt, wollte es ein bisschen menscheln lassen und sich zumindest teilweise zum Opfer der fiesen Pressemeute stilisieren, die ihm armen Menschen, der doch an vier Tagen in fünf Ländern zehn Termine am Tag hatte und dann ganz gemeine Fragen über sein Privatleben beantworten musste (Zur Erinnerung: Es ging um einen Hauskredit. Fragen zu seinem wirklichen Privatleben konnten bisher nie aufkommen, weil Wulff alles von Trennung über neue Frau bis Baby selbstständig in die Bild-Redaktion getragen hat). Er hat mit staatstragender Miene um Gnade gewinselt.

Und diese Strategie könnte sogar aufgehen. In diversen Foren schlugen gestern nach dem Interview Leser auf, die meinten, jetzt müsse auch mal gut sein mit der Hetzjagd, er habe sich doch entschuldigt, niemand sei perfekt, man wolle doch keinen Heiligen als Bundespräsident, andere Länder lachen sich doch kaputt über die Affären, die unsere armen Politiker zu erleiden haben blablabla. Natürlich regt sich in anderen Ländern niemand über derartige Geschichten auf. Aber sollten wirklich Italien, Griechenland oder Nicaragua unsere Vorbilder sein, wenn es um politische Hygiene geht? Auch Wulffs Parteifreunde meinen schon wieder, dass jetzt aber gut ist, weil man doch das Amt des Bundespräsidenten nicht durch die ständige Kritik beschädigen dürfe. Bitte? Wer beschädigt denn das Amt? Wie bitte? Die Berichterstatter und Kritiker beschädigen das Amt? Nach genau dieser Logik wurden früher die Überbringer schlechter Nachrichten geköpft?

„Ich möchte nicht Präsident in einem Land sein, wo man sich von Freunden kein Geld leihen kann“, hat Wulff gestern gesagt. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem der Präsident zur besten Sendezeit im Fernsehen solchen Stuss redet. Und auch noch damit durchkommt.

P.S.: Weil ich auch mal ein wenig dunkles Geraune betreiben will: Ich kann mir gut vorstellen, dass Wulff so aufgebracht war, weil er noch mehr Enthüllungen befürchtete. Seit über einem Jahr kursieren in Berlin Gerüchte über das Vorleben gewisser beteiligter Personen, die bisher nicht veröffentlicht wurden, weil die Abwägung von öffentlichem Interesse und Persönlichkeitsrechten eher dagegen spricht – nicht, weil sie nicht zu beweisen wären. Vielleicht hatte Wulff Angst, dass es sich die Bildzeitung anders überlegt hat.

P.P.S.: Wie wollte Wulff eigentlich als Ministerpräsident mit seinem Jahresgehalt von 152.400 Euro den Unterhalt seiner jetzigen und seiner vorherigen Familie bestreiten und dabei noch in fünf Jahren 500.000 Euro plus 4% Zinsen ansparen? Gut, auch seine Frau ist berufstätig, trotzdem muss da ja einiges an Geld zusammenkommen. Und wenn er nennenswert Vermögen hat: Warum hat er das dann nicht eingebracht?

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Das Elend des deutschen Sportjournalismus

Katrin Müller-Hohenstein und Otto Rehagel

So sieht es aus, wenn Katrin Müller-Hohenstein arbeitet. Foto: Karl-Friedrich Hohl via CC BY 3.0

Wer am vergangenen Samstag das Sportstudio im ZDF gesehen hat, hat viel gelernt: Dieter Hecking war mal Polizist. Dieter Hecking hat ein paar Talente entdeckt, die jetzt fast alle woanders spielen. Und Dieter Hecking kann diese Talente auf Fotos erkennen. Sonst gab es nichts Berichtenswertes. Keine deutschen Top-Schiedsrichter, beispielsweise, die der Steuerhinterziehung im großen Stil verdächtigt werden. Das ZDF schaffte es tatsächlich, diese Affäre, die die ganze Woche geschwelt hatte, mit keinem Wort zu erwähnen. Vielleicht bin ich ein romantischer Idealist, aber von einer Sportsendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen erwarte ich, dass sie so ein Thema aufgreift und vertieft, gerne mit ein wenig eigener Recherche. Um so eine Erwartung noch zu haben, dass merke ich mehr und mehr, muss man aber tapfer all die kleinen und großen Grausamkeiten ignorieren, die der ZDF-Sportredaktion immer wieder einfallen.

Beispiel gefällig? Wie wäre es mit dem Pokalspiel BVB – Dynamo Dresden, als irgendein ZDF-Redakteur anscheinend den Einfall hatte, dass es da ja noch Wolf-Dieter Poschmann gibt; einen Mann, der ungebremst von jeglicher Sachkenntnis herrlich sinnlos-dadaistische Satzgirlanden bastelt. Oder, wie es Peter Körte hier schon sehr schön aufgeschrieben hat:

Er ist ja einer, der immer nur sagt, was auch jeder sieht, der nichts vom Spiel versteht; und wenn er etwas sagt, was auf so etwas wie einer Analyse, einer Reflexion beruht, dann ist es garantiert falsch, was jeder sieht, der auch nur ein bisschen von Fußball versteht. Aber lassen wir die Phrasen beiseite, so wie er „das Bällchen laufen lassen“ will; dem Mann ist es nun mal nicht möglich, einen floskelfreien Satz zu formulieren.

Als die Dresdner Fans anfingen, sich daneben zu benehmen, begann Poschmann das freie Assoziieren und landete irgendwann beim Höhepunkt seiner geistigen Ergüsse: „Wer mal mit ihnen diskutiert hat, weiß, dass es da keine gemeinsame Argumentationsebene gibt.“ Ich hätte es nicht schöner sagen können; auch wenn ich davon ausgehe, dass Poschmann das Gefälle anders einschätzt als ich.
Damit könnte es gut sein, wenn das der einzige Eintrag im Sündenregister des ZDF wäre. Leider musste man während des Pokalspiels aber gar nicht lange nach dem nächsten suchen: Katrin „Was mache ich hier eigentlich“ Müller-Hohenstein. Sie ist der personifizierte Fan, der es über die Absperrung geschafft hat. Jetzt steht sie mit großen Augen auf der anderen Seite und weiß nicht, wohin mit sich. Unter einem Gespräch versteht KMH das bedingungslose Anwanzen an ihr Gegenüber. In ihrer naiv-freundlichen Harmlosigkeit ist sie die perfekte weibliche Antwort des ZDF auf die ARD-Duz-Maschine Waldemar Hartmann (warum der immer noch eine eigene Sendung hat, wäre noch so ein Thema). Und bei der Gelegenheit hätte ich gerne noch gewusst, welche Drogen der Mensch genommen hat, der sich das hier ausgedacht hat.

Besonders angehimmelt wird immer Oliver Kahn. Und überhaupt: Oliver Kahn? Als Experte? Hallo? Der Mann, der nichts anderes im Programm hat als die uralte Nicht-Weisheit „Die Spieler müssen Gras fressen“, nur dass er sie in etwas längere Sätze packt und dann mühsam zwischen den Kiefern hervorpresst. Taktische Erkenntnisse kann man von ihm nicht erwarten.

Nur leider auch von niemand anderem. Oder kann mir irgendjemand ein relevantes deutsches Medium nennen, in dem ernsthaft über Fußballtaktik reflektiert wird? In dem wirklich erklärt wird, warum eine Mannschaft ein Spiel verloren und die andere gewonnen hat? Und ich meine wirkliche Erklärungen, nicht irgendwas in Richtung „Podolski war schlecht drauf“ oder „Kaiserslautern zeigte zu wenig Einsatz und enttäuschte auch spielerisch“. Woanders, beispielsweise in England, bekommt man deutlich mehr geboten, siehe beispielsweise die Website des Guardian, wo auch Jonathan Wilson auf brillante Art und Weise die Feinheiten des Fußballs erklärt. In Deutschland gab es bei Spiegel Online mal eine Weile die Kolumne Fast alles über Fußball, die zumindest in die Richtung ging und im Fernsehen Jürgen Klopp, viel mehr war und ist da nicht. Selbst der Sportteil der von mir hochgeschätzten Süddeutschen Zeitung schreibt zwar immer sehr unterhaltsam und durchaus erhellend über Sportereignisse, aber in die Tiefen der Taktik steigt man auch dort nicht ein. Wer das will, muss auf private Angebote ausweichen: zonalmarking.net ist wohl die absolute Referenz, für den deutschen Leser gibt es spielverlagerung.net (die es in abgespeckter Version immerhin auch hin und wieder auf 11freunde.de schaffen).

Gut, man kann argumentieren, dass das etwas für Freaks ist, aber im deutschen Sportjournalismus fehlt es oft noch an etwas viel Grundlegenderem: dem Journalismus nämlich. Gemeint ist die kritische Auseinandersetzung mit dem Objekt der Berichterstattung. Die meisten Sportjournalisten machen reine Ergebnisberichterstattung und betrachten Sport bloß als Unterhaltung; vor Großereignissen drehen sowieso alle regelmäßig durch. Ganz wenige nur beschäftigen sich dagegen mit kritischen Themen, mit Korruption in der Fifa beispielsweise, der bereits genannten Affäre rund um die deutschen Schiedsrichter, Doping im Fußball oder anderswo – und das ist erst der Anfang einer langen Liste. Hier muss man vor allem die Süddeutsche Zeitung und dort besonders Thomas Kistner (von dem ich den Satz von den Fans, die es über die Absperrung geschafft haben, geborgt habe) lobend erwähnen, außerdem Jens Weinreich und sein fabelhaftes Blog, Herbert Fischer-Solms und Grit Hartmann vom Deutschlandfunk und noch einige andere mehr, die ich hier nicht alle nennen kann und will – es bleibt aber eine verschwindend kleine Minderheit. Ansonsten ist der Sportjournalismus auf fast allen Ebenen geprägt von Recherchefaulheit und Kumpanei zwischen Berichterstattern und denen, über die sie berichten sollen. Und immer ganz vorne dabei und bestens vernetzt: die Kollegen von der Bild-Zeitung, denen der Großteil der Meute wild hinterherläuft. Und das, liebe Kinder, ist das Elend des deutschen Sportjournalismus.

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Der Tüv als Wiederholungstäter

Der Tüv Süd hat wieder zugeschlagen: Einer Zehn-Euro-Wetterstation, die bei Lidl käuflich erworben werden kann, bescheinigt er eine zuverlässige Viertagesvorhersage. Dabei macht das Gerät nichts anderes, als Außentemperatur, Luftdruck und die Innentemperatur sowie die Luftfeuchtigkeit innen zu messen. Daraus wird dann eine Viertagesprognose entwickelt. Der Ansatz ist ziemlich bescheuert drollig: Sämtliche Wettersatelliten und teuren Computersimulationen wären überflüssig, wir messen einfach die Luftfeuchtigkeit in unserer Wohnung und wissen Bescheid. Das hätte einen prima Nebeneffekt: Wenn ich das Gerät aus der Waschküche in die Sauna trage, wird das Wetter besser.

Wer übrigens meint, dass das nur ein Ausrutscher des Tüv ist und der ansonsten nur ganz tolle Sachen macht, dem sei gesagt: Die unterschiedlichen Tüvs haben schon später geplatzte Silikonbusen, dubiose interessante Finanzprodukte und einige andere Kuriositäten zertifiziert. Genaueres haben Nils Klawitter und ich vor einiger Zeit schon im Spiegel aufgeschrieben (hier als PDF erhältlich), aber man scheint beim Tüv nicht dazuzulernen.

P.S.: Zu dem Spiegel-Artikel habe ich noch sehr viel feines Material zum Thema dubiose Finanzprodukte, was ich längst schonmal hier aufschreiben wollte. Ich hoffe, ich komme mal dazu.

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